Sommerakademie

 

 

 

 

Ein Feuer angezündet in Seelen der Dichter.
Und was zuvor geschah, doch kaum gefühlt,
Ist offenbar erst jetzt. . .

 

Hölderlin, Wie wenn am Feiertage . .

 

 

Liebe Mitglieder,

 

wir leben in bewegten Zeiten. In früheren Epochen, als die Geisteswissenschaften noch einen Namen hatten, hat man Philosophen beauftragt, uns die Zeit zu erklären. Mit dem 1000. Band der Sammlung Göschen wurde der Philosoph Karl Jaspers als Exeget seiner Zeit über Nacht berühmt. Die geistige Situation der Zeit (1931) liest sich heute wie die nüchterne Diagnose eines Arztes (Jaspers hatte zuerst Medizin studiert): Das Bewusstsein des Zeitalters löst sich von jedem Sein und beschäftigt sich mit sich selbst (S. 16 f.); „Das Gefühl eines Bruches gegenüber aller bisherigen Geschichte ist allgemein“ (S. 19); „Das Individuum ist aufgelöst in Funktion“ (S.43). Wer könnte uns heute in einem Guss die „geistige Situation der Zeit“ so erklären? All die gegenwärtigen Brüche, die Streiks und die Demos sind diese vielen Warnzeichen nicht Symptome für ein allgemeines, allumfassenderes Problem? Anstatt nur im Sinne von o tempora, o mores zu lamentieren, gilt es zu handeln.

 

Mit dem Band Nr. 168 der Classical Library wird die James Loeb Gesellschaft einen Beitrag zur Exegese der Gegenwart leisten. Mit Teilnehmern aus aller Welt wollen wir im Sommer 2024 (vom 26. Juni – 21. Juli) über die Notwendigkeit des Haushaltens konferieren. Im Oikonomikos von Xenophon (ca. 385 v.u.Z.) geht es dem „Urvater der Ökonomie“ nicht nur um das Haushalten im Sinne von Sparen, sondern auch um die Bedeutung von Zusammenhalt und um die Frage, wie man Ressourcen verteilt, so dass man allen gerecht wird. Im Geiste von James Loeb wollen wir diesen Text in seinem philosophischen Zusammenhang verstehen.

 

Deutet die derzeitige Unzufriedenheit in unserer Gesellschaft auf einen Verlust von Geborgenheit, und der daraus resultierenden Sprachlosigkeit hin? Kurz nach Ausbruch des 1. Weltkrieges schrieb der unbehauste Rilke: „Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens, Steingrund unter den Händen…, aber der Wissende? Ach, der zu wissen begann und schweigt nun …“ (Fragment aus dem Nachlass). Die Sprache ist das Haus des Seins, wie es der große Rilke Interpret Martin Heidegger am Beispiel von Rilke und Hölderlin aufgezeigt hat. Deshalb wird es neben dem Haupttext Oikonomikos noch weitere literarische Texte über Heimat, Haus und Obdach zu lesen geben.

 

Mit den Teilnehmern aus Europa und den USA soll aber nicht nur philosophiert werden. Bei gemeinsamen Ausflügen und beim Mittagessen mit unseren Mitgliedern; im Dialog mit Architekten, Zimmerern, Landwirten und Gärtnern soll Xenophons sokratischer Dialog den jungen Leuten am Ende aufzeigen, dass Haushalten, dass das Auskommen mit begrenzten Ressourcen kein Armutszeugnis ist. Wir freuen uns auf dieses große Projekt, und hoffen, dass Sie alle uns mit Rat und Tat unterstützen werden. Die Ratschläge, Handbücher und Gesundheitstipps der Influencer unsere Zeit werden in Bälde verschwunden sein.

Was bleibt aber, stiften die Dichter.

 

Hans-Peter Söder